Montag, 19. Januar 2015

[Rezension] "Atemnot" von Ilsa J. Bick





Titel: Atemnot
Autorin: Ilsa J. Bick
Originaltitel: Drowning Instinct
Genre: Jugendbuch, Drama
Verlag: Egmont INK (4. September 2014)
ISBN: 978-3863960643
Seiten: 352
empfohlenes Lesealter: 14 - 17 Jahren





Cover und Thematik sprachen mich an und ich wollte endlich auch ein Buch von Ilsa J. Bick lesen. "Ashes" wartet nämlich immer noch auf mich.





Es gibt Geschichten, in denen das Mädchen seinen Prinzen findet, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. So eine Geschichte ist das hier nicht. Jenna Lords Leben verlief bisher nicht gerade wie im Märchen. Ihr Vater ist ein kontrollbesessener Neurotiker und ihre Mutter Alkoholikerin. Früher war ihr älterer Bruder ihr einziger Halt, doch jetzt ist er im Irak stationiert. Und vor einigen Jahren wäre Jenna beinah bei einem Hausbrand ums Leben gekommen. Es gibt Geschichten, in denen das Monster das Mädchen umbringt und alle um das unschuldige Opfer trauern. So eine Geschichte ist das hier auch nicht. Mitch Anderson hat viele Qualitäten: Er ist ein engagierter Lehrer und Lauftrainer. Ein liebevoller Ehemann. Ein Mann mit einer ziemlichen … Anziehungskraft. Und dann gibt es noch die Geschichten, bei denen man schwer sagen kann, wer der Prinz und wer das Monster ist, wer das Opfer und wer es verdient, bis an sein Lebensende glücklich und zufrieden zu leben. Diese Geschichten sind die besten.
(Bild- und Textquelle: Egmont INK)




Einstieg ins Buch:
"Hör zu", sagte der Kommissar. Er starrt auf das junge Mädchen hinunter, das zusammengekrümmt auf der Trage liegt. Trotz eines halben Dutzends Decken schlottert die Arme immer noch so schlimm wie vor einer Stunde, als sie aus dem Wasser gezogen wurde.

Ilsa J. Bick wirft uns ohne Vorwarnung wortwörtlich ins kalte Wasser. "Atemnot" steigt direkt nach einem 'Unfall' ein. Als Leser weiss man nicht genau, was passiert ist, nur so viel, dass Jenna vor einer Stunde aus einem See gezogen wurde und nun von einem Polizisten aufgefordert wird, die ganze Geschichte, die Wahrheit zu erzählen. Er lässt ihr dafür ein Aufnahmegerät da.

Dadurch richtet sie ihre Geschichte an Bob, den Polizisten, was der Erzählweise etwas Spezielles aufdrückt. Jenna redet drauf los: direkt, schonungslos und manchmal etwas abgehakt in unbeendeten Sätzen. Das und auch die jugendliche Sprache ist ein Grund, dass diese Geschichte derart authentisch wirkt.

Wahrheit ist so ein interessantes Wort. Es kann so viel bedeuten. Es gibt die reine Wahrheit, die ganze Wahrheit, die halbe Wahrheit, und natürlich die Unwahrheit. Eigentlich ist die Unwahrheit meine Spezialität.     (Seite 10)

Nach und nach erfährt man von Jennas schwieriger Familiensituation: dem Kontrollfreak als Vater, der Mutter, die zu oft zum Alkohol greift, dem Grandpad, der ihr schon als Kind zu nahe gekommen ist und vom Bruder, ihrem Halt, der nun im Irak stationiert ist. Doch sie trägt nicht nur seelische Narben. Als Achtjährige wurde sie aus einem brennenden Haus gerettet und so ist ein Teil ihrer Haut vernarbt. Und um bei all dem sich selber noch zu spüren, Druck abbauen zu können, hat sie begonnen, sich zu ritzen, warum sie auch in psychologischer Behandlung ist. 

"Ich glaube, ich bin schon die ganze Zeit am Ertrinken, aber so leise, dass ich es selbst nicht gemerkt habe."

Dann steht ein Schulwechsel an, was für Jenna als Einzelgängerin und mit ihrer Geschichte, sehr schwierig ist. Anschluss findet sie dann nicht bei Mitmenschen sondern bei ihrem Chemielehrer und Lauftrainer Mitch Anderson. Er nimmt sich gerne Schülern mit Schwierigkeiten an und bei Jenna ist er mit viel mehr Engagement und Herz bei der Sache als er eigentlich müsste, eigentlich sollte .....

Ilsa J. Bick baut eine enorm dichte und beklemmende Atmosphäre auf, die einen atemlos durch die Geschichte hasten lässt, denn man möchte endlich die ganze Wahrheit erfahren. Mit einigen ungeahnten Wendungen führt sie uns gekonnt aufs Glatteis und bringt auch unsere Moralansichten stellenweise ins Straucheln. Denn die Autorin wagt sich mit "Atemnot" auf einen schmalen Grat, meistert das Tabuthema jedoch wirklich grossartig. Sie zeichnet nicht nur schwarz-weiss sondern zeigt viele Nuancen von Gut und Böse auf, so dass man als Leser selber nicht mehr genau weiss, was richtig und falsch ist.
Was sie uns hier auftischt ist weder Fastfood noch leichte Kost. Ilsa J. Bick beschönigt nicht, sondern konfrontiert uns mit einer brutalen Realität, die nichts fürs leichte Gemüt ist. "Atemnot" ist ein eindrückliches Jugenddrama fern ab von seichtem 0815-Lesefutter.

"Hör mir gut zu, Jenna. Was passiert ist, spielt keine Rolle. Es ist vorbei. Ich muss das nicht wissen. Es zählt nur das Hier und Jetzt, verstehst du? Manchmal ist es besser. die Vergangenheit loszulassen, Jenna. Wer ständig in der Vergangenheit rumstochert, vergisst darüber, nach vorn zu schauen."     (Seite 151)





Ilsa J. Bick hat mit "Atemnot" ein ausserordentlich eindringliches und beklemmendes Drama zu Papier gebracht, das einen die Seiten mit angehaltenem Atem umblättern lässt und auch nach dem Ende noch lange nachhallt.





Ilsa J. Bick ist Kinder- und Jugendpsychiaterin, Möchtegernchirurgin und ehemalige Air Force Majorin, widmet sich mittlerweile aber ganz ihrem Autorinnendasein. Am liebsten schreibt sie Jugendbücher und Kurzgeschichten, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.
(Textquelle: Egmont INK)


8 Kommentare:

  1. Hallo Favola,

    tolle Rezi und ich kann dir nur zustimmen. Der Schreibstil der Autorin ist so genial und das Buch lässt einen schon etwas nachdenklich zurück.

    Liebe Grüße,
    Uwe

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    1. Hey Uwe

      Ja, ich finde es immer toll, wenn Autoren eine dichte Atmosphäre heraufbeschwören und mich förmlich ans Buch fesseln können. Ich werde definitiv mehr von Ilsa J. Bick lesen.

      lg Favola

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  2. Huhu Favola,
    die Stimmung im Buch war wirklich an manchen Stellen ziemlich bedrückend! Und es lässt einen auch nicht so schnell wieder los. Mir hat das Ende allerdings nicht ganz so gut gefallen.
    Liebe Grüße
    Sandra

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    1. Hey Sandra

      Da würde mich ja jetzt interessieren, wie dir das Ende besser gefallen hätte ;-)
      Und was heisst schon 'gefallen' .... ich finde einfach, dass es zur ganzen Geschichte passt.

      lg Favola

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  3. puh.... klingt nach Zündstoff.... aber genau mein Ding! Dieses Buch werde ich mir gleich auf meine Wunschliste legen. Danke für die schöne Rezi...

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    1. Huhu Mona

      Immer gerne :-)
      Ja, Zündstoff ist definitiv ein gutes Wort. Schön, dass ich dich mit meiner Rezension dazu bewegen konnte, "Atemnot" auf die Wunschliste zu setzten. Das tut der Boggerseele einfach gut :-)

      lg Favola

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  4. Ach Gott, ich weiß ganz genau, was du meinst. Als ich es damals las und dann die Rezi verfasste, fand ich ähnliche Worte wie du. Meine Moralvorstellungen wurden echt auf eine harte Probe gestellt, denn es ist wirklich schwer, zu sehen, wer hier wirklich der Gute und das Böse darstellen sollte. :( Und das die Geschichte dann noch SO ENDETE! Fies aber clever. Ich mag diese schwierigen Thematiken eigentlich ganz gerne und vermute, dass es dir ebenfalls so ergeht. Ist eben nur schwer, das richtige in der richtigen Umsetzung zu finden - aber bei Atemnot wurde es schon richtig so gemacht. :(
    Das war damals mein erstes Buch von ihr, auch mit dieser Thematik und ich war schlichtweg beeindruckt. Auch wenn einige nicht unserer Meinung waren, freu ich mich, dass wir beide die Selbe teilen. :D

    Es glitzert und beschleimt dich
    ~ Jack :D

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    1. Hey Jack

      Ja, ich mag schwierige Bücher .... das Ganze muss einfach ausgewogen sein. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wohl auf das schnelle Lesefutter für zwischendurch verzichten.
      Mir gefallen vor allem auch Bücher, die eine eindringliche Atmosphäre haben. Und das ist ja bei "Atemnot" definitiv der Fall. Ich werde dann ganz bestimmt auch noch "Ashes" lesen, doch das soll sehr krass sein. Eine Freundin, die beinahe den identischen Buchgeschmack hat wie ich, hat gemeint, dass es eine der besten Reihen des Genres sei, doch sie hätte einfach wegen der Brutalität einen Stern abziehen müssen. Manchmal denke ich dann schon: "Hey, das sind doch JUGENDbücher ....."
      Bei "Atemnot" kommt bei mir natürlich noch dazu, dass ich selber Lehrerin bin .... also wirklich ein Tabuthema.

      lg Favola

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